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Verpasste Chance


Schon bald zeigt Tennstedt – mittlerweile verheiratet mit Inge –, dass er sich um Vorschriften der politischen Führung der DDR wenig schert (Details im Buch), und so wird er strafversetzt als Generalmusikdirektor an das kleine Landestheater Radebeul, gegenüber von Dresden an der Elbe. Es ist ein Reisetheater, und gleich die erste Neuproduktion ist Die Schule der Frauen von Rolf Liebermann, eine brilliante Komödie, witzig und spritzig. Bald nach der Premiere lädt Liebermann den Regisseur des Stücks, Dieter Bülter-Marell und Klaus Tennstedt nach Hamburg ein. Liebermann ist dort Intendant an der Staatsoper.

Dieter Bülter-Marell: Wir fuhren also nach Hamburg. Wir sind mit einem größeren Trabant dorthin gefahren, zum ersten Mal auf der westdeutschen Autobahn. Wir kannten keine Parkuhren, und als wir direkt auf den Jungfernstieg kamen, waren dann einige Leute da und haben diesen Wagen bestaunt, diesen Pappbehälter da und haben gesagt, da müssen Sie was reinstecken, das ist eine Parkuhr. Wir hatten kein Geld dabei, wir durften ja nichts ausführen. Hamburger Bürger gaben uns ein paar Kröten in die Hand, wir steckten sie in die Parkuhr und suchten weiter die Oper.

Liebermann lädt uns dann zum Essen ein, und plötzlich sagt er zu Tennstedt: „Können Sie übermorgen die Entführung aus dem Serail [Oper von W.A. Mozart] dirigieren?“ Da war Klaus natürlich perplex und sagte: „Das muss ich mir überlegen und – ja!“ Nun hatten wir beide in der Tschechoslowakei eine Entführung aus dem Serail gemacht, d.h. wir kannten das gut, wenn auch nur in tschechischer Sprache. Klaus kannte das Werk nur vom tschechischen Text und der Musik her, ich kannte das Werk auch vom deutschen Text her.

Zwei Tage später dirigierte er, und ich saß in der ersten Reihe direkt hinter ihm. Klaus hat gesagt: „Da ich den deutschen Text nicht kenne, klopfst du mir auf die Schulter, wenn es mit der Musik weitergeht.“ Es war ein unvergessliches Erlebnis. Das war auch erfolgreich, denn im Anschluss kam ein ernsthaftes Angebot von Liebermann, ob Klaus regelmäßig als Kapellmeister kommen würde. Ich bekam auch ein Angebot.

Wir sind dann zurückgefahren und waren gut ausgestattet mit einem kleinen Salär, weil er ja was für das Dirigieren bekam. Vielleicht 500 D-Mark West, das war für uns damals eine immense Summe.

Wir haben dann lange überlegt, ob wird das Angebot annehmen. Klaus sagte: „Ich bin hier Generalmusik-direktor und das Gewandhaus steht mir bevor. Ehe ich mich da hineinstürze…“ Wir haben dann beide abgesagt und gemeinsam weiter in Radebeul gearbeitet.

Was für eine fatale und folgenschwere Entscheidung!

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