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Boston: Musik wie nur einmal im Leben hört

Schon ein halbes Jahr nach seinem Amerikadebüt in Toronto wird Tennstedt eine Serie von sieben Konzerten mit dem Boston Symphony Orchestra angeboten, einem der Top-Five-Orchester der USA. Man fragt den Maestro, was er denn dirigieren möchte, und er antwortet ungläubig: „Sie meinen, ich darf mir das aussuchen?“

Das darf er, und er wählt die Vierte Sinfonie von Johannes Brahms, davor dessen Akademische Festouvertüre op. 70 und das Violinkonzert op. 77 (Solistin: Miriam Fried). Termine sind für Mitte Dezember 1974 festgemacht. Wenig später soll die Achte Bruckner folgen. Ein hochromantisches Programm mit einem der besten Orchester der Welt!

Tennstedt kommt mit klopfendem Herzen in Boston an. Wird das gutgehen? Der Druck wächst  unerträglich für seine flirrenden Nerven. Plötzlich schlagen die Wogen der Erwartungen über ihm zusammen, er wünscht sich nur noch nach Hause. „Inge, ich schaff´s nicht,“ ruft er sie an, „ich komme zurück.“ Worauf er das Donnerwetter seines Lebens hört: „Ich bin explodiert am Telefon,“ sagt seine Frau. „Geh da rein und dirigiere!“

„Wenn ich einen Dollar bekäme“, sagt der Boston Globe-Kritiker Michael Steinberg, „für jedes Mal, wenn mich jemand gefragt hat: `Wer ist dieser Klaus Tennstedt?´, könnte ich eine Woche Urlaub nehmen. Sein Name ist hier so gut wie unbekannt.“ Vom Konzert mit der Achten Sinfonie von Anton Bruckner ist er dann schier überwältigt:

Freitag, 20. Dezember 1974
Bruckner, Tennstedt, BSO – Musik, wie man sie nur einmal im Leben hört.
Es gibt eine Ges
chichte, daß Händel auf die Frage, wie es war, den Halleluja-Chor zu komponieren, sagte: „Ich dachte, ich sähe die Himmel offen und Gott selbst.“ Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, aber wenn sie stimmt, hätte Händel besser auf diesen Bruckner warten sollen, um das zu sagen. Denn es ist dessen Musik, die das perfekt ausdrückt.

Letzte Nacht gab uns das Boston Symphony eine von diesen großartigen Bruckner-Offenbarungen – die Achte Symphonie unter Klaus Tennstedt, dirigiert und gespielt, wie man nur wenige Dinge im Leben dirigieren und spielen hört.

Das Orchester klang wundervoll, mit einer herrlichen Erhabenheit im Blech, aber vor allem mit einem leuchtenden und tiefgründigen Streicherklang, wie man ihn hier vermutlich in Jahrzehnten nicht gehört hat. Am Ende gab es brüllende, füßetrampelnde Ovationen, und es ist klar, daß Tennstedts Erscheinen hier eines der besten Dinge ist, die das Boston Symphony seit Langem erlebt hat. Er wird sicherlich wiederkommen.

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